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Am Anfang war der Atem? Breathwork in Praxis und Wissenschaft

Ein Gespräch mit der Neurowissenschaftlerin Martha Havenith und der Psychotherapieforscherin Isabel Dziobek, die ihre Breathwork-Forschung mit einem internationalen Survey zum Thema beginnen

JUNGABERLE: Liebe Martha Havenith, liebe Isabel Dziobek, ihr habt vor kurzem einen Forschungs-Grant der Tiny Blue Dot Foundation für eine Breathwork-Studie erhalten. Was habt ihr vor und wie kam es zu eurem Interesse an diesem Thema?

DZIOBEK: Ich bin als Psychotherapeutin schon immer an körperbasierten Ansätzen interessiert. Ich habe unter anderem auch an körperbasierten tanztherapeutischen Studien gearbeitet, bin selbst Yoga-Lehrerin und so auch zum Breathwork gekommen. Ich habe das in verschiedenen Settings auch selbst erlebt und so auch Martha kennengelernt. Und Martha hat mich dann inspiriert, bei ihrem Forschungsantrag mitzumachen. 

HAVENITH: Bei mir ist Breathwork durch eigene Erfahrungen mit der Methode in meine Forschung gekommen. Persönliche Traumata und emotionale Verletzungen, die ich durch Meditation und andere Therapien nie ganz auflösen konnte, habe ich durch diese körperbasierte Methode bearbeiten können. So hat sich für mich sogar die Art und Weise, wie ich mich und mein Leben erlebe, verändert. Daraufhin habe ich eine Facilitator-Ausbildung in einer bestimmten Breathwork-Methode gemacht. Auf der wissenschaftlichen Ebene ist Breathwork fast komplett unerforscht. Und bei dieser Lücke wollen wir ansetzen.

JUNGABERLE: Ihr habt zwei Studienorte, einmal in Frankfurt am Ernst-Strüngmann-Institut und an der Humboldt Universität zu Berlin an dem Institut von Isabel Dziobek. Wo seht ihr die unterschiedlichen Schwerpunkte? Und was passiert dann praktisch in der Empirie?

HAVENITH: Wir möchten beide unsere Stärken einsetzen. Mein Hintergrund ist die neurowissenschaftliche Grundlagenforschung. Deswegen machen wir hier in Frankfurt die mechanistischen Studien, also was passiert beim Breathwork im Gehirn, was sind die typischen neuronalen Signaturen? Gibt es Ähnlichkeiten zu Psychedelika? Und können wir subjektive Erfahrungen in Beziehung zu Strukturen setzen, die man messen kann, etwa im Verhalten oder im Gesichtsausdruck? Dafür verwenden wir EEG, Deep Learning Analyse von Videos und Affective Computing, also dem Erkennen von Emotionen und Affekten mittels AI.

DZIOBEK: Bei uns in Berlin machen wir den klinischen Teil. Das heißt wir schauen, welchen Effekt die viermalige Anwendung von Breathwork und entsprechender „Integration“ innerhalb von sechs Wochen auf die Psychopathologie und mentale Gesundheit bei Trauma-exponierten Personen hat. Wir untersuchen auch soziale Kognition auf Gehirn- und Verhaltensebene, weil wir glauben, dass das ein wichtiger Mediator für eventuelle positive Effekte ist. Außerdem glauben wir, dass, ähnlich wie bei Psychedelika, Set und Setting eine große Rolle spielen. Und das soll jetzt erstmalig an 80 Personen mit einer aktiven Kontrollgruppe in einem kontrolliertem, randomisiertem Studiendesign untersucht werden. Es gibt zwar einige wenige Studien, aber bis dato international keine einzige wirklich rigoros durchgeführte große, randomisiert kontrollierte Studie. 

JUNGABERLE: Es ist nicht so einfach, Breathwork zu definieren, was meint ihr damit genau? 

HAVENITH: Im Moment ist das Breathwork-Feld sehr divers. Es gibt verschiedene Schulen und Variationen. Wir würden Breathwork als relativ neue Methoden definieren, die bewusst eine tiefe, vom normalen Atemrhythmus abweichende Atmung verwenden, um das mentale und/oder physische Wohlbefinden zu verbessern. Ich würde es von „Pranayama“ abgrenzen, was eine eigene, seit Jahrtausenden existierende Tradition der Veränderung des Atmens ist, von der Breathwork gelernt hat. Wir schauen uns im Speziellen das zirkuläre, fast-paced oder auch high-ventilation Breathwork an. Das ist eine intensivere Form, bei der mit größerer Wahrscheinlichkeit veränderte Bewusstseinszustände auftreten.

DZIOBEK: Viel bekannter und besser evaluiert ist das entschleunigte, tiefere Atmen, auch Bauchatmen oder coherent breathing. Dieses hat entspannende Effekte und wird auch als verhaltenstherapeutische, körperbasierte Technik im Rahmen der psychotherapeutischen Richtlinienverfahren verwendet. Es ist das gleiche „Tool“, der Atem, aber die Effekte sind sehr unterschiedlich, weshalb man diese Techniken nicht verwechseln sollte. 

HAVENITH: Genau, und zu diesem fast-paced Breathwork gibt es aktuell kaum Forschung. Oft wird auch in gegenwärtigen Metanalysen und Reviews beides gemischt und unter dem Namen Breathwork zusammengefasst, es sind aber wirklich zwei verschiedene Zweige. Beispielsweise hat Guy Fincham in seinem Review 2023 16 Studien gefunden, von denen 13 mit einem verlangsamten und nur drei mit einem beschleunigten Atem arbeiten. 

JUNGABERLE: Die bekannteste Form des Breathwork ist vielleicht das Holotropic Breathwork, das Stanislav Grof in den 1970er Jahren bekannt gemacht hat. Wie steht eure Forschung zum Holotropic Breathwork? 

HAVENITH: Es gibt ein paar Breathwork-Techniken, die zu jener Zeit entstanden sind. Dazu gehören Holotropic Breathwork, Rebirthing, Consciously Connected Breathwork, Transformational Breathwork. Jede dieser Techniken hat ihre eigenen Dogmen, Glaubenssätze und Additionen. Diese können nützlich sein, sind unserer Meinung nach aber nicht für den Kerneffekt von Breathwork verantwortlich. Wir wollen uns auf die gemeinsamen, zentralen Aspekte dieser Techniken konzentrieren. Worauf sich fast alle Traditionen mehr oder weniger einigen können, ist ein tiefes, intensives Atmen, Musik und soziale Unterstützung, also durch Begleiter (Facilitator) und oder auch durch eine Gruppe. 

JUNGABERLE: Das heißt, ihr könnt über den mechanistischen Teil eurer Forschung auch Aussagen über Holotropic Breathwork von Stan Grof treffen? 

HAVENITH: Ja, und wir haben eine Studie in Review, bei der wir bereits Consciously Connected Breathwork (CCB) und Holotropic Breathwork verglichen und festgestellt haben, dass sie auf der gemessenen Ebene denselben Effekt haben. Was aus meiner Sicht bedeutet, dass der Effekt nicht auf den Zusätzen beruht, wie etwa der Anwesenheit eines Sitters oder speziellen Interpretationen wie beispielsweise dem Wiedererleben des Geburtstrauma beim Rebirthing, sondern auf der zugrunde liegenden Technik.

JUNGABERLE: Hierauf möchte ich nochmal eingehen. Die Breathwork-Methoden, über die ihr sprecht, sind ja im Moment noch fest in der Hand von paramedizinischen, manchmal anti-medizinischen oder New Age Gruppen. Wie geht ihr damit um? 

DZIOBEK: Ich leite ja die Hochschulambulanz an der Humboldt Universität zu Berlin und habe den Wunsch, dieses Instrument in den Mainstream zu bringen, verfügbar und finanzierbar zu machen. Dazu brauchen wir viele gute Studien. Der Untergrund und die erwähnten Settings haben Breathwork überhaupt erst entwickelt und erfahrbar gemacht. Und jetzt ist es an der Zeit, dass Breathwork parallel dazu auch im Mainstream, Wissenschaft und Klinik ankommt. Psychotherapeuten sind natürlich Profis, die viel über Sicherheit, Techniken, Einsatzbereiche und Ausschlusskriterien wissen. Welche Technik ist sinnvoll für welche Problematik? Wo muss man vorsichtig sein? In welchem Fall benötigt man Hilfe oder ein Konsil von einem Arzt? Dieses Vorgehen war und ist in der Psychotherapie üblich und hat geholfen, Psychotherapien als effektive und sichere Methoden zu etablieren. Dasselbe würde ich mir auch für Breathwork wünschen, damit dieses Tool in ein Setting integriert werden kann, in dem es möglichst sicher und effektiv bei genau der Population angewendet werden kann, die davon profitiert. Das kann nur die Wissenschaft durch Evidenzbasierung leisten. 

HAVENITH: Ich glaube, dass der Gegensatz zwischen Psychologie und Neurowissenschaft sowie den Praktizierenden gar nicht so groß ist. Es gibt Breathwork-Facilitators, die begeistert sind, dass es jetzt Wissenschaft dazu gibt. Sie haben darauf gewartet. Sie arbeiten mit großer Bewusstheit über Sicherheit, die Bedeutung von Integration und sind offen für verschiedene Interpretationen. Natürlich gibt es auch Menschen, die rigidere Meinungen haben. 

DZIOBEK: Ja, das denke ich auch. Wir planen auch einen Workshop, bei dem wir mit Personen, die diese Techniken schon lange anwenden, zusammenkommen wollen, auch um eine Offenheit von unserer Seite aus zu zeigen. So etwas wie Science meets Practice, um über Aspekte wie Sicherheit sowie Set und Setting zu sprechen und zu diskutieren, ob man sich in auf minimale Sicherheitsstandards einigen kann.

JUNGABERLE: Die MIND Foundation bildet seit drei Jahren Ärzte und Psychotherapeuten in einem 45-minütigen Einzel-Breathwork-Verfahren weiter. Das Thema Körperkontakt hat sich in der Lehre als eines der wichtigsten Themen herausgebildet. Es dient der Intensivierung des therapeutischen Prozesses und der Aufrechterhaltung des Kontakts. Alle Körpertechniken laden aber auch zu Grenzüberschreitungen ein Das führt auch innerhalb der Richtlinien-Psychotherapieverfahren immer wieder zu Debatten: „Wie viel Körperkontakt ist nötig, möglich und gewünscht zwischen Menschen in einem professionellen Umfeld? Wie möchtet ihr an solche Sicherheitsthemen herangehen? Stellt ihr euch da so eine Art Konsensbildung vor?

HAVENITH: Wir brauchen auf jeden Fall Rahmen, im Sinne von informed consent, die man setzen muss. Es ist aber bei jedem Patienten unterschiedlich, wieviel Körperkontakt nützlich und gewollt ist. Ich persönlich finde, dass es sehr problematisch wäre, körperliche Berührungen komplett auszuschließen. Breathwork ist eine körperbasierte Technik und wenn Personen wirklich tief im inneren Prozess sind, funktionieren Worte nicht mehr wirklich. Trotzdem ist es oft wichtig, körperliche Unterstützung zu erfahren. Als Facilitator muss man eine spezielle Balance lernen. Denn es kann auch passieren, dass Menschen zum Beispiel in Kontakt mit traumatischen Erlebnissen kommen oder Kindheitserlebnisse von Hilflosigkeit oder Alleingelassensein erfahren, bei denen fehlende Unterstützung so traumatisierend sein kann, wie zu viel Körperkontakt. Es braucht jedoch einen Rahmen und eine klare Kommunikation über Optionen, um wirklich sicher zu gehen, dass nur Körperkontakt stattfindet, der für die Klienten hilfreich ist.

DZIOBEK: Ich habe in der Selbsterfahrung schon viel Unterschiedliches erlebt in Breathwork-Sitzungen. Teilweise hätte ich mir mehr Körperkontakt gewünscht, teilweise war es zu viel für mich. Deswegen finde ich das Stichwort informed consent sehr wichtig. Wie fühlt sich so eine Berührung an? Wie viele Personen sind in einem Gruppensetting anwesend? Und wer berührt an welchen Körperstellen? Nur wenn ein explizites Einverständnis vorliegt, sollte überhaupt Körperkontakt stattfinden. Es ist natürlich auch möglich, dass im Zustand eines veränderten Bewusstseins, in dem Menschen stark emotionalisiert und vulnerabel sind, Dinge anders erlebt werden. Und natürlich ist es ebenfalls wichtig, ob der Körperkontakt in der ersten Sitzung erfolgt oder nachdem Menschen schon eine Weile mit dem Breathwork Facilitator oder Therapeuten zusammengearbeitet haben. Ich denke, dass Berührung ganz langsam und maßvoll eingesetzt werden sollte - nach dem Motto start low, go slow. Und dann muss man sich in der therapeutischen Situation an die jeweiligen Erfordernisse herantasten.

JUNGABERLE: Einige unserer Therapeut:innen in der OVID Clinic Berlin orientieren sich an der Schule des Holotropic Breathwork. Sie verbinden das dort nicht mit einem Selbsterfahrungsrahmen, sondern mit Psychotherapie – also einem Kontrakt, den jemand, der sich für eine bestimmte Zeit als Patient definiert mit einem Experten schließt. Diese Therapeuten treffen in einem informed consent Modell Absprachen mit den Patien:innen, auch schriftliche, zum Beispiel durch Einzeichnen von Bereichen von Berührung und Nicht-Berührung auf einer Körperkarte, um herauszufinden, wo die jeweiligen Grenzen vom Patienten definiert werden. Diese können sich mit der Zeit erweitern, wobei jede Form erotisierender Berührung vermieden wird – und das auch in die explizite Absprache aufgenommen wird.

HAVENITH: Ich denke auch, dass dieser Rahmen wichtig ist und dass es eine tiefgehende Ausbildung für Begleiter geben sollte, die dann lernen sich heranzutasten und zu spüren, was eine Person braucht. Das benötigt vor allem praktisches Training. 

DZIOBEK: Es gibt in der Forschung zu Breathwork eigentlich keine Daten dazu, welches Ausmaß von Berührung, welchen Personen, in welchem Setting und mit welcher Indikation hilft. Deswegen haben wir einen Survey dazu entwickelt, inwiefern sich Set und Setting inklusive Aufklärung, Berührung, Anzahl der Begleiter usw. auf die aktuelle Erfahrung auswirkt. Diese Einsichten wollen wir auch in die Studien integrieren.

Klicken Sie hier, um an dem Survey teilzunehmen!

JUNGABERLE: Gibt es neben dem Sicherheitsaspekt noch andere Themen in den Surveys?

DZIOBEK: Es geht hauptsächlich um Wirkung und Nebenwirkung. Dabei fokussieren wir uns auf die letzte Breathwork-Erfahrung der Person, in welchem Setting dieses stattfand, mit wie vielen Personen und wie lange geatmet wurde? Wurde Musik gespielt? Welche körperlichen und psychischen Effekte sind akut aufgetreten? Welche Effekte sind postaktut im Afterglow und innerhalb von zwei Wochen aufgetreten? Wie korrelieren diese? 

JUNGABERLE: Richtet sich der Survey hauptsächlich an Menschen, die Breathwork an sich durchgeführt haben oder werden auch Facilitator und Psychotherapeuten befragt?

DZIOBEK: Alle Personen, die mindestens eine Breathwork-Sitzung mit dem fast-paced breathing Ansatz gemacht haben, können teilnehmen. Es geht nicht darum, Breathwork aus Facilitator- oder Expert:innsicht zu beurteilen, sondern möglichst heterogene Sitzungen und Settings anzuschauen und gegebenenfalls Zusammenhänge herzustellen.

HAVENITH: Wir schauen uns alles an, was zumindest eine Viertelstunde schnelles Atmen einschließt. Also beispielsweise Holotropic Breathwork, Consciously Connected Breathwork, Transformational Breathwork.

JUNGABERLE: Und wie lange darf die letzte Erfahrung zurück sein? 

HAVENITH: Das ist egal, solange man sich daran erinnern kann. 

JUNGABERLE: Lasst uns noch einmal über das Thema Set und Setting sowie Placebo reden. Das Thema Placebo ist in der psychedelischen Forschung, etwa in unserer geplanten Phase-III-Psilocybinstudie, ein Dauerthema. Wie geht man um mit sogenannten Placebo-Wirkungen, beziehungsweise lernpsychologisch gesprochen, mit Erwartungen um? Wie ist das in eure Forschung eingearbeitet?

HAVENITH: Natürlich haben alle Breathwork-Traditionen Kontextfaktoren gefunden, die den Prozess unterstützen. In unserer ersten Studie hatten wir in dieser Hinsicht schon eine ganz interessante experimentelle Bedingung eingefügt, bei der ein Drittel der Teilnehmenden zwar anwesend war, die Musik hörte und das Sharing mitbekam, aber ganz normal weiter atmete. Hier haben wir gemessen, dass der Effekt etwa 30-40% dessen war, wie aktiv atmend an der Sitzung teilzunehmen. Das heißt, der Kontext hat auf jeden Fall eine Wirkung, aber die Atemtechnik scheint mir zentral für den Gesamteffekt. In den neuen Studien sind wir uns dessen bewusst und wollen eine langsamere Atemtechnik als Kontroll-Kondition hinzunehmen, damit man die Atemtechniken kontrastieren kann, aber trotzdem der soziale und musikalische Kontext einbezogen wird, 

DZIOBEK: Auch zu berücksichtigen ist das immersive Storytelling, was ja wirklich aktive Kontrolle ist, durch die es immer auch etwas Aktivierung gibt. Und durch das slow-paced Atmen findet ja auch eine Aktivierung des entsprechenden physiologischen Systems statt. Auch der Empathie-Effekt und die Synchronisation von physiologischen Prozessen sind spannend. Ich denke, dass das, was da gemessen wurde, über den Placeboeffekt hinaus geht, weil ich natürlich, wenn Menschen, die zwischen anderen Personen liegen und durch das schnelle Atmen stark emotionale Erfahrungen machen, „angesteckt“ werden. Wir wissen bereits aus Tierstudien, dass Empathie-Effekte sehr stark sind.

JUNGABERLE: Das ist ja auch in der Psychedelika-Forschung ein wichtiges Thema, mit welchen Patient:innen man in die Gruppentherapie gehen sollte - und wie diese oft beobachtete emotionale Ansteckung in den Gruppen eigentlich funktioniert. Lassen sich Breathwork-Settings, die so unterschiedlich sind, wie Festivals, über Online-Medien und in der Psychotherapie überhaupt vergleichen?

HAVENITH: Das ist eine gute Frage. Also ich persönlich bin ja ein großer Fan von Breathwork auch außerhalb der Psychotherapie. Allerdings nicht von Settings, in denen man auf die Erfahrung der einzelnen Menschen nicht gezielt eingehen kann. Beispielsweise finde ich Festivalerfahrungen problematisch, weil teilweise hunderte Menschen atmen und oft nur ein paar Begleiter vor Ort sind. Ein Teil der Teilnehmer werden intensive Erfahrungen haben, die nicht unterstützt werden können. Andererseits können solche Settings oder auch Online Settings eine tolle Erfahrung sein für Menschen, die ihr eigenes Potenzial klarer spüren wollen, die sich über Emotionen klarer werden wollen oder über bestimmte Herausforderungen, die sie gerade im Leben haben. Breathwork muss nicht immer nur psychotherapeutisch wirken, im Sinne von „wir müssen jetzt etwas reparieren“ oder „Traumata aufarbeiten“. Es kann einfach ein Instrument für well-being sein.

DZIOBEK: Du fragtest nach der Vergleichbarkeit der Settings. Wir haben auch in der Psychotherapie Gruppen-Settings. Und bei Festivalsettings kommen viele gut beschriebene Wirkfaktoren der Gruppenpsychotherapie zum Tragen, beispielsweise wenn man in den Sharings beobachtet, dass es anderen vielleicht auch nicht so gut geht und realisiert, „die anderen knacken auch an Traumata“. Wir nennen das mit Yalom „Universalität des Leidens“. Oder Menschen Lernen am Modell, sie erleben Gruppenkohäsion durch Musik oder durch gemeinsame Bewegung. Das sind viele Wirkfaktoren, die wir auch in der Gruppenpsychotherapie nutzen. Von daher gibt es Vergleichbares. Mir ist natürlich das Setting der Psychotherapie sehr sympathisch, weil es sehr gut definiert ist, und vieles davon - wenn auch nicht alles - sicherer ist. Mit Transparenz und Qualitätskontrollmechanismen für die Patient:innen bietet es die größtmögliche Sicherheit. Und das können verschiedene „Szenen“ nicht leisten. Deshalb ist es wichtig, dass wir uns das in der Wissenschaft anschauen. Aber ich sehe durchaus Vergleichbarkeit zwischen diesen Settings. 

HAVENITH: Ja, absolut. 

JUNGABERLE: Hier kommt meine Abschlussfrage. Das Geschehen in einem Breathwork-Raum unterscheidet sich häufig sehr vom Alltag. Nicht selten bricht – von außen gesehen – eine Form des „Wahnsinn aus“: Menschen schreien, wälzen sich auf dem Boden, man beobachtet kathartische Bewegungen, Zuckungen und scheinbar unkontrolliertes Ausagieren. Das ist ungewöhnlich in den modernen sozialen Welten, auch für die Psychotherapie. Wir kennen es eher aus anthropologischen Kontexten. Was sollten Menschen, die Breathwork anleiten lernen?

DZIOBEK: Wir klammern gerade in einer gesprächsorientierten Psychotherapie den Körper viel zu oft aus. Emotionalisierende Verfahren fehlen. Es gibt Problemstellungen, da kommt man als Psychotherapeutin über das Sprechen nicht weiter. In Teilen der Psychotherapie fehlt eine gewisse Offenheit gegenüber neuen Methoden. Und außerhalb der Psychotherapie würde ich mir wünschen, dass es eine Offenheit für potentielle Nebenwirkungen sowie Selbstreflexion und Bereitschaft gibt, sich selbst zu reflektieren, Dinge in Frage zu stellen. 

HAVENITH: Ich würde dem komplett zustimmen. Bei den Praktizierenden wäre es manchmal nützlich, mehr Nüchternheit reinzubringen. Breathwork kann fantastisch sein, aber es wird nicht die Probleme der Menschheit lösen. Es gibt Nebenwirkungen. Und aus der psychotherapeutischen Perspektive ist es für viele Therapeuten wohl ein großer Schritt, die Angst vor den großen Emotionen zu überwinden. Es gibt bei dieser Methode manchmal wirklich große Emotionen – die nicht sofort gemanagt werden können und sollen. Darum geht es dann danach. Aber in der Sitzung dreht es sich häufig darum, was der Körper gerade fühlt. Und damit muss man sich erst einmal anfreunden. 

DZIOBEK: Wir haben jetzt auch eine Studie geplant, in der wir Psychotherapeut:innen in Selbsterfahrungs-Workshops einladen. Die allermeisten Psychotherapeut:innen kennen die Methode nicht, haben sie noch nie selbst erfahren. In unserer Hochschulambulanz arbeiten 35 Therapeut:innen, von denen zwei damit Erfahrungen haben. Und anschließend werden wir diese Therapeut:innen befragen: „Was denkt ihr, für welche Indikationsbereiche ist die Methode sinnvoll? Wo könnte sie eingesetzt werden? Was sind die Grenzen? Was braucht ihr, um es in euren therapeutischen Alltag zu integrieren? Eine ganz andere Studie, aber ein wichtiger Schritt, der noch fehlt. 

JUNGABERLE: Ich danke euch für das Gespräch. Es wird unsere Leser faszinieren. Und es wird spannend sein, wenn wir in zwei Jahren das Thema wieder aufgreifen. 


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