Author

Format

Essay

Categories

Mental Health Psychedelic Integration Psychedelic Therapy


Related Blog post

Ein Match made im Geiste

Zur Verbindung von Achtsamkeitspraxis und psychedelischer Therapie

Der verstand ist der freund
derjenigen, die ihn unter kontrolle haben,
doch wirkt er wie ein feind
für diejenigen, die ihn nicht unter kontrolle haben.
Bhagavad Gita, Kapitel VI

Jahrzehntelang wurde die wissenschaftliche Erforschung psychedelischer Substanzen aus der wissenschaftlichen Gemeinschaft verbannt. Jetzt erlebt die psychedelische Forschung allerdings ein Revival in Form von Studien über das therapeutische Potenzial psychedelischer Substanzen bei der Behandlung von psychischen Störungen wie Depressionen, Sucht, krebsbedingten psychiatrischen Leiden und Zwangsstörungen.1 Doch mit der Erkenntnis nutzbringender Einsatzweisen von Psychedelika steht das psychedleische Forschungsfeld nun vor den nächsten wichtigen Fragen. Wir wissen, dass psychedelisch-unterstützte Therapie Symptome reduzieren kann, aber wie können Patienten diese Verbesserungen langfristig aufrechterhalten? Und gibt es begleitende Praktiken oder Therapien, die die Wirksamkeit psychedelisch-unterstützter Therapie erhöhen?

Das Praktizieren von Achtsamkeit bietet eine mögliche Antwort auf diese Fragen. Der Begriff “Achtsamkeit” trägt eine lange Geschichte mit sich, verwurzelt mit verschiedenen asiatischen kontemplativen Traditionen. In die westliche klinische Psychotherapie wurde das Konzept in den 1980er Jahren von Jon Kabat-Zinn eingeführt. Dieser wiederum war vom Buddhismus beeinflusst und entwickelte ein Programm namens “Mindfulness Based Stress Reduction” (MBSR).2 In MBSR wird Achtsamkeit als “klares, nicht wertendes Gewahrsein von Augenblick zu Augenblick” definiert. Sie wird als eine Qualität verstanden, die zum Beispiel durch Meditation geübt werden kann.3 Mit diesem Artikel möchte ich nicht in die Debatte einsteigen, ob diese Definition von Achtsamkeit die Komplexität des Konzepts ausreichend abdeckt. Vielmehr möchte ich auf den potenziellen Nutzen der Achtsamkeitspraxis in psychedelisch-unterstützter Therapie aufmerksam machen.

Die Kombination ist mehr als die Summe ihrer Teile

Obwohl ein Mangel an empirischer Forschung über die Nützlichkeit der Kombination von Achtsamkeitspraxis und psychedelisch unterstützter Therapie fortbesteht, haben Forscher mögliche synergistische Effekte vorgeschlagen.4–6 Bei depressiven Patienten wurde festgestellt, dass sowohl Achtsamkeitsmeditation als auch Psilocybin bestimmte psychologische und biologische Faktoren beeinflussen, die mit Depressionen in Verbindung stehen.(5) Ein Kardinalsymptom der Depression ist bedrückte Stimmung, die sich typischerweise durch negative Denkmuster, Grübeln und unzureichende Emotionsregulation verstetigt. Sowohl Achtsamkeit als auch Psilocybin können diese depressive Stimmung auf komplementäre Weise verbessern. Meditation fördert emotionale Akzeptanz und verändert damit die Art und Weise, wie Menschen ihre Gedanken wahrnehmen und mit ihnen umgehen. Psilocybin hingegen kann Gedanken direkt verändern: Es wird angenommen, dass etablierte negative Glaubenssysteme destabilisiert und peak experiences hervorgerufen werden können.7 Die sogenannten peak experiences sind durch Gefühle der Verbundenheit, Heiligkeit und Glückseligkeit gekennzeichnet und gehen oft mit dauerhaften psycho-spirituellen Einsichten einher.

Achtsamkeit und Psilocybin können außerdem auf neurobiologische Faktoren wirken, die mit Depressionen in Verbindung stehen. Bei depressiven Patienten ist Neuroplastizität – der neuronale Mechanismus, durch den sich das Gehirn strukturell und funktionell an Veränderungen in der Umgebung einer Person anpasst – häufig beeinträchtigt. Neuroplastizität ist mit einem Protein namens Brain-Derived Neurotrophic Factor (BDNF) assoziiert, das bei depressiven Patienten oft abnormal niedrig ist. Längere, wiederholte Achtsamkeitspraxis scheint den BDNF-Spiegel zu erhöhen und damit Neuroplastizität zu fördern.

Auch Psychedelika können vorübergehende, aber starke “neuroplastische Schübe” induzieren, welche den BDNF-Spiegel schon nach einer einzigen Sitzung deutlich erhöhen.5 Tierstudien zeigen eine Zunahme der Neuroplastizität auf zellulärer Ebene: Forscher verabreichten erwachsenen Ratten verschiedene psychedelische Substanzen, darunter LSD, Psilocin und DMT, woraufhin sie eine Zunahme der Dichte dendritischer Dornen beobachten konnten. Dieses Wachstum äußerte sich außerdem in Form von einer erhöhten Anzahl an Synapsen. Mit anderen Worten, innerhalb von 24 Stunden bewirkten Psychedelika, dass Neuronen der Ratten mehr Verbindungen untereinander bildeten. Diese strukturelle Veränderung wurde auch von funktionellen Veränderungen der Gehirnaktivität begleitet.8

Was können wir aus diesen Erkenntnissen mitnehmen? Achtsamkeitsmeditation und Psilocybin wirken beide auf wichtige psychologische und biologische Faktoren, die zu Depression beitragen. Allerdings wirken sie auf unterschiedliche Weise und über einen anderen Zeitverlauf, so dass sie sich möglicherweise gegenseitig ergänzen und in Synergie wirken könnten.

Meditation und psychedelische Erfahrungen: eine symbiotische Beziehung?

Die Vermutung einer Synergie zwischen Meditation und Psychedelika wird durch eine kürzlich durchgeführte doppelblinde, placebo-kontrollierte Studie von Smigielski und Kollegen6 empirisch unterstützt. Diese zeigt, dass Meditation und Psychedelika bidirektional wirken: Meditation kann die positiven Effekte von Psychedelika verstärken und umgekehrt. In einem Matched-Subjects-Design wurde 39 gesunden, erfahrenen Meditierenden auf einem 5-tägigen achtsamkeitsbasierten Meditationsretreat entweder Psilocybin oder ein Placebo verabreicht. Die Forscher verglichen dann die Effekte der Meditation allein und der Meditation mit Psilocybin auf verschiedene Ergebnisse.

Sie fanden heraus, dass Psilocybin akut die Meditationstiefe erhöhte. Erfahrene Meditierende waren folglich unter dem Einfluss von Psilocybin besser in der Lage, bei ihrer üblichen Praxis zu bleiben. Die Psilocybin-Gruppe zeigte außerdem ein höheres Niveau an dispositioneller Achtsamkeit am Tag nach dem Retreat, was eine erhöhte Tendenz zur Achtsamkeit im Alltag widerspiegelt.

Smigielski et al. gingen in ihrem Experiment noch einen Schritt weiter und verglichen die Werte der Psilocybin-Gruppe auf der 5-dimensionalen Altered States of Consciousness Rating Scale (11 5D-ASC) mit Werten von gesunden, nicht meditierenden Teilnehmern einer anderen Psilocybin-Studie. Die Meditierenden aus Smigielski’s Studie wiesen höhere Werte auf Unterskalen des 11 5D-ASC auf, welche peak experiences andeuten: spirituelle Erfahrung, Glückseligkeit und Einheitsgefühle. Interessanterweise erzielten sie auch niedrigere Werte auf den Subskalen zu kognitivem Kontrollverlust und Angstzuständen. Dies deutet darauf hin, dass konsequente Achtsamkeitspraxis die tendenziell subjektiv-negativen Aspekte psychedelischer Erfahrungen abmildern und positive, tiefgreifende Effekte verstärken kann.

Achtsamkeitspraxis als Integrationswerkzeug

Über diese Erkenntnisse hinaus kann Achtsamkeit als ein wertvolles Werkzeug betrachtet werden, das Patienten oder Konsumenten psychedelischer Substanzen helfen kann, ihre Erfahrung zu integrieren Integrationswerkzeuge umfassen alle Praktiken, die es Menschen ermöglichen Erkenntnisse aus einer psychedelischen Erfahrung in ihren Alltag mitzunehmen. Für Patienten in psychedelisch-unterstützter Therapie gehört dazu auch die langfristige Aufrechterhaltung jeglicher Symptomreduktion. Zu den üblichen Integrationspraktiken gehören künstlerische Aktivitäten oder Gespräche nach der psychedelischen Sitzung, die dem Patienten helfen sich durch kreativen Ausdruck an die Erfahrung zu erinnern, sie zu diskutieren und zu verstehen. Der Einsatz von Achtsamkeitspraktiken zur Integration muss sich jedoch nicht auf die unmittelbare Zeitspanne nach einer Sitzung beschränken, sondern kann in allen Phasen der psychedelisch-unterstützten Therapie hilfreich sein: vor, während und nach der Sitzung.

Nutzen vor der Sitzung

Die kontinulierliche Übung in Achtsamkeit vor einer Sitzung hat mehrere Vorteile, die in der psychedelischen Erfahrung deutlich spürbar werden können. Zunächst einmal können Angst und kognitiver Kontrollverlust während der Erfahrung abgemildert werden.6 Selbst bei herausfordernden Erfahrungen scheinen Meditierende besser gerüstet zu sein, um sich schwierigen Gedanken, Erinnerungen und Emotionen zu stellen: Konsequente Achtsamkeitsmeditation befähigt Personen, eine akzeptierende und entspannte Haltung gegenüber auftauchenden kognitiven und emotionalen Inhalten einzunehmen.5 Schließlich kann Achtsamkeitsmeditation vor der Einnahme von Psychedelika die Wahrscheinlichkeit von peak experiences erhöhen, welche Behandlungserfolg signifikant beeinflussen.6,9

Nutzen während der Sitzung

Personen mit Meditationspraxis entwickeln oft eine Beziehung zu einem bestimmten Mantra oder einem Meditationsobjekt.10 Ein solches Objekt oder Mantra könnte während der Erfahrung zum Priming genutzt werden. Wenn die Aufmerksamkeit von Patienten auf diese Weise auf ihre Praxis gelenkt wird, kann dies wiederum zu peak experiences oder anderen psycho-spirituellen Einsichten führen. Darüber hinaus kann Aufmerksamkeit auf den Atem und dessen Verlangsamung Entspannung und Wohlbefinden erhöhen und Angstgefühle reduzieren.11 Tatsächlich werden meditative Elemente wie Entspannungsübungen und das Richten der Aufmerksamkeit nach innen bereits in Studien zur Psilocybin-unterstützten Therapie eingesetzt.12

Nutzen nach der Sitzung

Nach einer psychedelischen Erfahrung kann Achtsamkeitspraxis den Patienten helfen, die Behandlungsergebnisse langfristig aufrecht zu erhalten. Psychedelika können Gedankeninhalte einer Person verändern und negative Glaubenssysteme lockern.5 Wenn ein Patient jedoch nach der Sitzung keine neuen gesunden Glaubenssysteme entwickelt, ist es wahrscheinlicher, dass er irgendwann rückfällig wird. Eine kontinuierliche Praxis des Nicht-Wertens und der Akzeptanz kann dazu führen, dass negative Glaubenssätze und Gedankenmuster weniger zwanghaft werden. Achtsamkeit könnte darüber hinaus für gesunde mentale Strategien sorgen, um mit ungesunden Gedanken fertig zu werden. Diese Hypothese fußt auf dem Erfolg achtsamkeitsbasierter Stressreduktion (MBSR), welche Achtsamkeitspraxis zur Vorbeugung von Rückfällen bei Sucht und Depression einsetzt.13,14 Zusammenfassend: Achtsamkeitspraxis könnte von unschätzbarem Wert sein um Erfolge der psychedelisch-unterstützten Therapie aufrecht zu erhalten.

Schlussfolgerung

Abschließend lässt sich festhalten, dass Achtsamkeitspraxis und psychedelisch-unterstützte Therapie ein symbiotisches Paar bilden. Sie haben komplementäre, positive Effekte auf psychologische und biologische Defizite, die mit Depressionen in Verbindung stehen. Sie können zusammen stärker wirken als allein. Außerdem profitieren sie voneinander: psychedelische Erfahrungen können die Meditationspraxis vertiefen, und Meditation kann Menschen darauf vorbereiten, das Beste aus psychedelischen Erfahrungen herauszuholen. Es gibt überzeugende theoretische Gründe, die für Achtsamkeitspraxis als nutzbringendes Integrationswerkzeug sprechen; sowohl vor, während und auch nach psychedelischen Sitzungen. Dies erfordert allerdings weitere empirische Verifizierung mit gründlichen klinischen Studien. Letzten Endes bietet eine konsequente Achtsamkeitspraxis allen, die unter der quälenden Hartnäckigkeit des eigenen Verstandes leiden, einen möglichen Weg: Der Verstand kann ein Freund für diejenigen werden, die lernen, ihn zu kontrollieren.

Wenn Sie der Forschung über Achtsamkeitspraxis und Psychedelika einen Schritt näher kommen möchten und bereits eine konsequente Meditationspraxis haben, möchte ich Sie dazu einladen, an der Online-Umfrage “Ways of Looking” des University College London teilzunehmen.

UNSERE ARBEIT BEI MIND IST AUF SPENDEN VON MENSCHEN WIE IHNEN ANGEWIESEN.

Wenn Sie unsere Vision teilen und psychedelische Forschung und Bildung unterstützen wollen, sind wir für jeden Betrag dankbar, den Sie geben können.

 

Quellen:

  1. De N, Johnson MW, Nichols CD. Psychedelics as Medicines: An Emerging New Paradigm. 

  2. Gethin R. ON SOME DEFINITIONS OF MINDFULNESS. [cited 2020 Nov 19]; Available from: www.oed.com

  3. Bowen S, Vieten C. A compassionate approach to the treatment of addictive behaviors: The contributions of Alan Marlatt to the field of mindfulness-based interventions [Internet]. Vol. 20, Addiction Research and Theory. Taylor & Francis; 2012 [cited 2020 Nov 19]. p. 243–9. Available from: www.tandfonline.com/doi/abs/10.3109/16066359.2011.647132

  4. Walsh Z, Thiessen MS. Psychedelics and the new behaviourism: considering the integration of third-wave behaviour therapies with psychedelic-assisted therapy. International Review of Psychiatry. 2018.

  5. Heuschkel K, Kuypers KPC, Borgwardt S, Kahl KG, Zurowski B. Depression, Mindfulness, and Psilocybin: Possible Complementary Effects of Mindfulness Meditation and Psilocybin in the Treatment of Depression. A Review. Article [Internet]. 2020 [cited 2020 Nov 19];11:1. Available from: www.frontiersin.org

  6. Smigielski L, Kometer M, Scheidegger M, Krähenmann R, Huber T, Vollenweider FX.Characterization and prediction of acute and sustained response to psychedelic psilocybin in a mindfulness group retreat. Sci Rep. 2019;

  7. R.R. G, M.W. J, F.S. B, M.P. C, M.A. K, W.A. R, et al. Psilocybin-occasioned mystical-type experience in combination with meditation and other spiritual practices produces enduring positive changes in psychological functioning and in trait measures of prosocial attitudes and behaviors. J Psychopharmacol. 2018;

  8. Marlatt GA, Kristeller JL. Mindfulness and meditation. In: Integrating spirituality into treatment: Resources for practitioners. 2004.

  9. Zaccaro A, Piarulli A, Laurino M, Garbella E, Menicucci D, Neri B, et al. How Breath-Control Can Change Your Life: A Systematic Review on Psycho-Physiological Correlates of Slow Breathing. Frontiers in Human Neuroscience. 2018.

  10. Griffiths RR, Richards WA, McCann U, Jesse R. Psilocybin can occasion mystical-type experiences having substantial and sustained personal meaning and spiritual significance. Psychopharmacology (Berl). 2006;

  11. Vallejo Z, Amaro H. Adaptation of mindfulness-based stress reduction program for addiction relapse prevention. Humanist Psychol. 2009;

  12. Fjorback LO, Arendt M, Ornbol E, Fink P, Walach H. Mindfulness-based stress reduction and mindfulness-based cognitive therapy – a systematic review of randomized controlled trials. Acta Psychiatrica Scandinavica. 2011.


Back