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Magische Hefen Und Wie Sie Psilocybin Produzieren

Ein Interview Mit Nick Milne, PhD, CSO Von Octarine

Übersetzt von Luise von Münchhausen, editiert von Marvin Däumichen

Dieses Interview diskutiert die folgende Publikation:
Milne, N., Thomsen, P., Mølgaard Knudsen, N., Rubaszka, P., Kristensen, M., and Borodina, I. (2020) Metabolic engineering of Saccharomyces cerevisiae for the de novo production of psilocybin and related tryptamine derivatives. Metabolic Engineering, 60:25-36

J: Willkommen, Nick. Vielen Dank, dass du gekommen bist! In deinem Labor am “Novo Nordisk Foundation Center for Biosustainability” hast du hauptsächlich an Projekten gearbeitet, die mit Nachhaltigkeit zu tun haben. Was hat dein Interesse an Psilocybin geweckt?

N: Das Forschungszentrum, in dem ich gearbeitet habe, ist das Center for Biosustainability – ein Schwerpunkt des Zentrums ist es, biobasierte Prozesse zu entwickeln, um nicht-erneuerbare synthetische Chemie zu ersetzen. Ich habe mich schon immer für psychische Gesundheit interessiert, und insbesondere dafür, wie wir psychische Gesundheit verstehen, oder eher, wie schlecht wir psychische Gesundheit heute behandeln. Ich war außerdem schon immer an dem Potenzial von Psilocybin interessiert.

J: Psilocybin ist noch kein Mainstream-Medikament; eigentlich ist es auch noch ziemlich weit davon entfernt. Gleichzeitig klingt dein Forschungsthema nach einer tollen Idee; war es tastsächlich einfach, es zu verfolgen?

N: Zum damaligen Zeitpunkt war es zweifellos ein gewisses Risiko und als ich die Idee zum ersten Mal vorstellte, wurde ich ausgelacht! Was die Menschen schließlich überzeugt hat, waren die klinischen Daten, die ich ihnen gezeigt habe. Vor etwa zwei Jahren sind eine Menge hervorragender klinischer Daten herausgekommen, die das Potenzial dieser Moleküle gezeigt haben, und ich glaube, das hat die Leute im Zentrum dazu bewogen, zu sagen: “Okay, lasst es uns versuchen”. Glücklicherweise hat sich daraus ein Unternehmen entwickelt, und heute, ein Jahr später, ist die Psychedelika-Industrie eine vielversprechende Branche geworden.

J: Und nur knapp über ein Jahr später hast du deine Ergebnisse bereits veröffentlicht! Das ging ziemlich schnell.

N: Es war in der Tat schnell! Selbst für unsere Verhältnisse ging es sehr schnell, und die Zeit von der Idee bis zum Proof of Concept dauerte nur etwa vier Monate. Es hat eine Weile gedauert, um alles in Publikationsform zu bringen, aber die Forschung lief überraschend gut. Zum Glück gab es eine Reihe anderer Forscher, die bei diesem Projekt sehr geholfen haben, was die ganze Sache schneller vorangetrieben hat.

Photo von Mogana Das Murtey and Patchamuthu Ramasamy, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

 

J: Das hört sich sehr gut an! Könntest du noch einmal zusammenfassen, was ihr in eurer Studie herausgefunden habt und wie schwierig es war, diese Ergebnisse zu erreichen?

N: Das Hauptziel unserer Forschung war es, zu ermitteln, wie Psilocybe-Pilze Psilocybin produzieren und dann herauszufinden, wie man diesen Prozess in Saccharomyces cerevisiae, auch bekannt als Bierhefe, replizieren kann. Der biosynthetische Weg zur Herstellung von Psilocybin wurde bereits vor einigen Jahren entdeckt, allerdings wurden noch nicht alle Gene gefunden. Da die Biosynthese ein Prozess ist, der eine aufeinander abgestimmte Aktivität von Genen erfordert, die an der Synthese, dem Transport und der Regulation beteiligt sind, ist es notwendig, sie alle zu klassifizieren. Die wichtigsten Gene, die identifiziert wurden, waren diejenigen, die die wesentlichen Reaktionen katalysieren, aber es gab auch ein paar, die übergangen wurden und noch gefunden werden mussten. Wir mussten das Genom von Psilocybe cubensis vertieft untersuchen, um die fehlenden Gene zu finden. Dann haben wir sie in die Hefe eingeführt, indem wir das genetische Material übertragen haben.

Wir konnten zwar die Produktion von Psilocybin nachweisen, was ein guter Anfang war, aber ein wesentlicher Teil der Arbeit bestand darin, herauszufinden, wie man mehr Psilocybin produzieren kann. Im Grunde genommen haben wir das dadurch erreicht, dass wir mit dem natürlichen Hefestoffwechsel gearbeitet haben. Im Prinzip funktioniert das so, dass die Gene, die wir von Psilocybe cubensis übertragen haben, mit den Genen zusammenarbeiten, die Tryptophan in Psilocybin umwandeln können. Tryptophan ist eine essentielle Aminosäure, aber auch eine Aminosäure, die von der Hefe endogen produziert wird, was bei den meisten Arten der Fall ist. Der herausforderndste Teil der Arbeit war die Steigerung der Tryptophan-Produktion – also das Herumspielen mit dem ursprünglichen Hefestoffwechsel, um die Rate der Tryptophan-Produktion zu erhöhen, was schließlich zu einer gesteigerten Psilocybin-Produktion führte.

Als Letztes haben wir ein wenig mit dem genetischen Code der Psilocybe-Gene herumgespielt, so dass wir die Produktion auf einige der anderen Zwischenprodukte und Derivate des Stoffwechselwegs verlagern konnten. Wir haben beispielsweise gezeigt, dass wir mit einer kleinen Veränderung Aeruginascin anstelle von Psilocybin produzieren können. Wir konnten zudem belegen, dass wir durch die Einführung von völlig fremden Genen Moleküle herstellen können, die in der Natur noch nicht existierten.

J: In anderen Studien wurde hingegen erfolgreich die Produktion von Psilocybin in E. coli demonstriert.1 Kannst du erklären, warum ihr Bierhefe gewählt habt und worin der Vorteil bestand?

N: Ich glaube, zunächst ist es sinnvoll zu erklären, warum es überhaupt eine gute Idee ist, Psilocybin in lebenden Zellen herzustellen. Heutzutage gibt es, abgesehen von unserer Methode, zwei Hauptwege, um Psilocybin zu gewinnen – entweder muss man den Pilz züchten, oder man muss ihn chemisch synthetisieren. Wer schon einmal gesehen hat, wie ein Pilz aussieht, weiss, dass es nicht so einfach ist, ihn zu züchten und das Psilocybin reichert sich nur in sehr geringen Mengen im Pilz an.

J: Psilocybin ist außerdem nicht gleichmäßig über die verschiedenen Teile des Pilzes verteilt, also kann ich mir vorstellen, dass die Extraktion von Psilocybin aus großen Mengen von Psilocybe cubensis schwierig sein muss.

N: Genau! Wenn wir an kommerzielle Verwendungen denken, bräuchten wir riesige Mengen an Pilzbiomasse. Die Extraktion wäre eine Herausforderung und die Komplexität dieses Prozesses macht es für pharmazeutische Verwendungen sehr schwierig. Wenn wir Psilocybin beim Menschen einsetzen wollen, muss es sehr rein sein und die Produktion gleichzeitig sehr konsistent. Hinzu kommt, dass die meisten pharmazeutischen Medikamente aus nicht erneuerbaren Ressourcen gewonnen werden, so auch Psilocybin. Synthetisches Psilocybin wird aus Benzol gewonnen, was ein fossiler Brennstoff ist. Dies ist sehr umweltschädlich und die chemischen Synthesemethoden verursachen giftige Abfälle. Es besteht also zweifellos ein dringender Bedarf, einen nachhaltigeren Weg zu entwickeln, was uns zur Produktion in Mikroorganismen geführt hat.

Und warum Hefe und nicht E. coli? Das ist eine sehr gute Frage. Meiner Meinung nach gibt es zwei Gründe: Der erste ist, dass Hefe das weltweit älteste Beispiel für Domestikation ist. Vor 1.000 Jahren begannen die Menschen, Hefe zu domestizieren, um Bier zu produzieren. Heute haben wir einen Organismus, der im Wesentlichen gezüchtet wurde, um in einer industriellen Umgebung zu gedeihen – er eignet sich hervorragend für die Biergärung und Ethanolproduktion. Das liegt daran, dass er sich über all die Jahre so entwickelt hat, dass er die sehr extremen Bedingungen der industriellen Fermentation toleriert.

Der andere, für Psilocybin wichtige Grund ist jedoch, dass Hefe evolutionär gesehen ein sehr naher Verwandter von Psilocybe-Pilzen ist. Sie stammen beide aus dem gleichen Reich – es sind beides Pilze. Das macht schon einen deutlichen Unterschied, wenn man fremde Gene in einem Organismus exprimieren will; es hilft, wenn sie bereits nahe verwandt sind und für Psilocybe ist das sehr wichtig. Die Hydroxylierung, der wichtigste enzymatische Schritt, gelingt in Bakterien wie E. coli nicht. E. coli fehlt nämlich eine Organelle – ein essentieller Teil des Mechanismus, der es diesem Enzym ermöglichen würde, zu funktionieren. Daher ist die Rekonstruktion des gesamten Stoffwechselweges in Bakterien praktisch unmöglich. In anderen Arbeiten wurde Psilocybin erfolgreich in E. coli produziert, aber im Grunde mussten sie dieses Problem umgehen, indem sie ihren Stamm mit einer synthetischen Verbindung fütterten. Aus Kostengründen und unter ökologischen Gesichtspunkten ist das nicht wirklich realisierbar. In unserer Studie haben wir Zucker als Ausgangssubstrat verwendet, was sehr nachhaltig ist. Zudem können wir viel niedrigere Produktionskosten erreichen und unser Prozess ist so gut wie CO2-neutral.

Photo von Thomas Thompson on Unsplash

 

J: Die Nachhaltigkeit des Prozesses ist definitiv ein wesentlicher Vorteil gegenüber anderen Methoden. Ihr habt den Hefestoffwechselweg auch genau abgestimmt, aber für die Produktion im großen Maßstab ist er wahrscheinlich noch nicht optimiert. Was genau müsstet ihr noch verbessern, um ihn für die Produktion im industriellen Maß zu optimieren?

N: Die größte Herausforderung besteht darin, die Menge des Zuckers zu erhöhen, die in Psilocybin umgewandelt wird. Um eine Produktion in kommerziellem Maß zu erreichen, die zufriedenstellend für klinische Studien am Menschen ist, müssen wir darüber hinaus den Prozess von einem Liter auf Tausende von Litern skalieren. Die Entwicklung der Fermentation ist entscheidend, und natürlich müssen wir uns auch mit der Frage beschäftigen, wie wir Psilocybin effizient aus der Fermentationslösung isolieren können.

J: Wie weit ist die Arbeit deiner Meinung nach davon entfernt, ein industriell nutzbares Produktionsprotokoll zu erreichen?

N: Das ist die Arbeit, die wir bei Octarine im Moment betreiben. Es ist bereits möglich, kleine Mengen von Psilocybin zu produzieren, aber es ist noch ein weiter Weg, die Mengen zu erzeugen, die für klinische Studien am Menschen und schließlich für kommerzielle Anwendungen benötigt werden. Die größte Hürde ist immer noch die gesetzliche Zulassung, so dass wir einen Produktionsprozess wesentlich schneller durchführen können, als die Aufsichtsbehörden die Genehmigung zur Verwendung erteilen.

J: Ihr habt die Methode verwendet, fremde DNA-Stücke in das Hefegenom einzuführen. Das wurde bereits mit Verfahren der Genom-Editierung wie CRISPR überall auf der Welt gemacht. Es ist also nichts Neues, dennoch birgt der Prozess des Herumspielens mit Genomen lebender Organismen immer ein Risiko, das einige unerwünschte Effekte hervorrufen kann. Habt ihr einige davon beobachtet?

N: Das kann tatsächlich ein großes Problem sein. Nicht nur die Expression fremder Gene in heterologen Wirten [ein Organismus, dem das betreffende Gen von Natur aus fehlt], sondern auch die Produktion von Molekülen, mit denen der Organismus noch nicht in Berührung gekommen ist. In unserem Fall haben wir glücklicherweise keines dieser Probleme beobachtet. Das ist ein weiterer guter Grund für die Verwendung von Hefe – sie toleriert fremde Genexpression sehr gut und kommt üblicherweise gut damit zurecht, wenn sie mit fremden Metaboliten in Kontakt kommt. Der natürliche Wirt produziert diese Moleküle oft aus einem sehr guten Grund, also muss es auch einen Grund geben, warum Pilze Psilocybin produzieren. Oft wirkt die produzierte Verbindung als Abwehrmittel, sie ist also ein Toxin für Mikroorganismen. Das ist zum Beispiel bei Cannabinoiden der Fall, mit denen wir auch arbeiten. Cannabis produziert Cannabinoide in erster Linie als antimikrobielles Mittel. Wenn man also versucht, es in einem Mikroorganismus zu produzieren, wird man auf toxische Effekte stoßen. Glücklicherweise haben wir bei den Psychedelika, mit denen wir arbeiten, bisher keine derartigen Probleme gesehen.

J: Das stimmt. Außerdem habt ihr eine stabile Transformation der Zellen erreicht, was bedeutet, dass die fremde Erbsubstanz für immer integriert ist.

N: Genau! Das ist ebenfalls ein hervorragender Grund, Hefe zu verwenden. Es ist sehr leicht, direkt in das Genom zu integrieren und stabil zu integrieren, so dass die Gene praktisch ohne Selektionsdruck oder irgendetwas, das sie zu einem Verbleib zwingt, dort drin sind.

J: Normalerweise werden Antibiotikaresistenz-Gene zusammen mit den gewünschten Genen übertragen, so dass, wenn ein Antibiotikum in das Wachstumsmedium eingeführt wird, die Zellen kontinuierlich gezwungen werden, die fremden Gene zu exprimieren. Ihr habt es geschafft, eure gewünschten Gene ohne eine antibiotische Selektion zu integrieren?

N: Ja, und das ist wichtig für eine Produktion im großen Maß. Man möchte keine Antibiotika oder irgendeine Art von Selektionsdruck haben, sowohl aus Kostengründen – Antibiotika sind teuer – als auch aus Sicht der menschlichen Sicherheit – man möchte keine Antibiotika in seiner Zusammensetzung haben, ebenso wenig wie eine Aktivierung der Antibiotikaresistenz-Gene.

Photo by Thisisengineering on Unsplash

 

J: Abgesehen von all diesen beeindruckenden Erfolgen ist euch noch etwas anderes gelungen – die Synthese eines völlig neuen Moleküls, das in der Natur bisher nicht existiert hat, und zwar N-Acetyl-4-Hydroxytryptamin. Kannst du uns etwas über diese Verbindung erzählen und ob ihr sie in Zukunft noch genauer untersuchen werdet?

N: Wir sind nicht nur an der Herstellung von Psilocybin interessiert, sondern auch an einer Reihe von anderen Molekülen, die Psilocybe-Pilze produzieren. Inspiriert wurden wir durch die faszinierenden Entdeckungen in der Forschung an Cannabinoiden, die zeigen, dass einige der weniger bekannten Cannabinoide neue oder verbesserte Funktionen haben. CBD scheint zum Beispiel sehr effektiv bei der Behandlung von Epilepsie zu sein, aber eines der weniger bekannten Cannabinoide, CBDv, könnte womöglich noch besser geeignet sein. Die Anzahl der Beweise wächst und es deutet darauf hin, dass das Gleiche auch für Psilocybe-Pilze gelten könnte. Daher sind wir natürlich sehr an allen Derivaten und allen Zwischenprodukten interessiert, die der Psilocybe-Pilz produziert.

Darüber hinaus ist eines der Themen, für das wir uns bei Octarine besonders interessieren, wie wir biologische Mechanismen nutzen können, um Moleküle herzustellen, die in der Natur nicht existieren. Zumindest in der Theorie sollten Enzyme der synthetischen Chemie weit überlegen sein. Sie dürften in der Lage sein, Reaktionen zu katalysieren, die die synthetische Chemie nicht durchführen kann, und zwar viel effizienter und unter viel günstigeren Bedingungen. Der Trick dabei ist, herauszufinden, wie man ein Enzym “überzeugen” kann, eine Reaktion zu katalysieren, die es normalerweise nicht tut. Das ist ein Teil der Haupttechnologie, die wir bei Octarine entwickeln, aber in diesem Artikel wollten wir nur das Potenzial natürlicher Enzyme demonstrieren und wie sie dazu gebracht werden können, Reaktionen zu katalysieren, die sie normalerweise nicht tun. Das war beispielsweise bei diesem Molekül N-Acetyl-4-Hydroxytryptamin der Fall, das im Grunde halb Psilocybin und halb Melatonin ist. Generell sind wir sehr daran interessiert, nicht nur die Eigenschaften der neuartigen Moleküle zu untersuchen, die in unserer Anlage produziert werden, sondern auch die Eigenschaften einiger der kleineren Tryptamine, die Psilocybe-Pilze und andere psychedelische Organismen produzieren.

J: Melatonin ist ein Schlafhormon, das im menschlichen Gehirn vorkommt und Psilocybin wirkt auf Serotoninrezeptoren. Glaubst du, dass diese neue Art von Tryptamin auch einige psychoaktive Effekte beim Menschen haben könnte?

N: Ich würde sagen, dass es noch zu früh für solche Spekulationen ist. Bei dieser Arbeit geht es eher um einen Proof of Concept der Produktion, aber was ich sagen kann, ist, dass die Idee im Allgemeinen darin besteht, dass wir neue Moleküle entwickeln, in der Hoffnung, eine bessere Version von Psilocybin zu erschaffen oder ein Molekül, das eine andere therapeutische Wirkung hat. Das ist im Wesentlichen die Arbeit, die im Moment stattfindet – wir versuchen herauszufinden, was diese Moleküle bewirken und ob sie vom therapeutischen Standpunkt aus interessant sein könnten.

J: Es sieht so aus, als gäbe es eine ganz neue Generation von Verbindungen, die darauf warten, entdeckt zu werden, was sehr aufregend ist! Angenommen, jemand gibt euch einen unbegrenzten Kapitalzuschuss für Octarine, für irgendein Forschungsprojekt. Welches würde das sein?

N: Das ist eine sehr gute Frage. Was mir in den Sinn kommt, ist, dass es in der Natur abertausende interessanter Moleküle gibt, die interessante therapeutische Wirkungen haben, und wir bedienen uns dieser natürlichen Quellen schon seit, nun ja, Ewigkeiten.

J: Das stimmt im indigenen Kontext, aber in der westlichen Medizin sind sie relativ vernachlässigt worden.

N: Genau, und ich denke, ein Teil des Grundes ist, dass es eine große Lücke zwischen dem Verständnis gibt, was diese Moleküle tun, und der Frage, wie wir sie herstellen können. Es gibt viele Beispiele für Moleküle, von denen wir wissen, dass sie in der Natur vorkommen, und wir wissen sogar, dass sie bemerkenswerte therapeutische Eigenschaften haben, aber wir haben noch nicht die Mittel, um sie in den Mengen herzustellen, die für eine pharmazeutische Anwendung notwendig sind. Lange Zeit hatten wir keine Vorstellung davon, wie der natürliche Organismus sie herstellt. Erst in den letzten Jahren haben wir überhaupt herausgefunden, wie Cannabis Cannabinoide herstellt und wie Psilocybe-Pilze Psilocybin produzieren. Aber bei den Tausenden anderen Molekülen haben wir kaum eine Ahnung, wie sie produziert werden, und wir haben keine Ahnung, welche Enzyme und welche Gene dafür verantwortlich sind. Ich glaube, dass dies ein Engpass bei der Entwicklung natürlicher Moleküle für therapeutische Anwendungen ist.

Photo von Markus Spiske on Unsplash

 

J: Was genau wäre der erste große Schritt, um diese Situation zu verbessern?

N: Meiner Meinung nach ist das Hauptproblem die Geschwindigkeit – wir haben zwar Methoden, um Biosynthesewege aufzuklären, aber sie sind unglaublich mühsam und zeitaufwendig. Es gibt erhebliche Fortschritte bei der Gewinnung immer größerer Datensätze zu zellulären Prozessen. Vielleicht könnte der Einsatz von Dingen wie maschinellem Lernen oder künstlicher Intelligenz, um die Interpretation dieser Daten zu vereinfachen, eine bedeutende Verbesserung darstellen. Wir haben zwar einige gute Vermutungen darüber, was unserer Meinung nach vor sich geht, aber dann verbringen wir sehr viel Zeit damit, diese zu testen, und viel zu oft liegen wir falsch.

J: Also könnte die Computermodellierung den Prozess definitiv beschleunigen.

N: Ich denke schon. Wenn man den menschlichen Aspekt herausnimmt und gleichzeitig unsere Methoden zur Erforschung dieser Dinge verbessert, könnten wir definitiv besser abschätzen, welche Gene beteiligt sind. Ich denke, das wäre ein riesiger Sprung in diesem Bereich.

J: Ich drücke euch die Daumen für die Entwicklungen bei Octarine. Meine letzte Frage bezieht sich auf das, was du vorher über das erste Mal gesagt hast, als du deine Idee anderen vorgestellt hast und sie nicht auf den fruchtbarsten Boden gestoßen ist. Hast du irgendwelche Tipps für Forschende und Studierende, die diese Art von Forschung vorantreiben wollen?

N: Ich denke, dass zumindest in der Forschungsgemeinschaft die Stigmatisierung dieser Moleküle rapide abnimmt. Meiner Meinung nach liegt das daran, dass wir uns die klinischen Daten ansehen können und es ziemlich eindeutig ist, dass diese Moleküle vielversprechend sind. Es ist also nicht die Forschungsgemeinschaft, die sich um das Stigma sorgen muss; es ist die öffentliche Wahrnehmung, die meiner Meinung nach ein größeres Problem darstellt. Was mich zu diesem Thema gebracht hat, war, dass ich mir die klinischen Daten angesehen habe und davon überzeugt war, dass da etwas Interessantes dabei ist. Ich glaube immer, dass es ein guter Anfang ist, tief in die Daten einzutauchen und sich selbst ein Bild vom Potenzial dieser Moleküle zu machen.

Eines der großartigen Dinge in diesem Gebiet, wie auch bei den Cannabinoiden, ist, dass es Menschen mit völlig unterschiedlichen Hintergründen zusammenbringt. Ich hätte mir nie vorstellen können, dass ich einmal mit so vielen verschiedenen Forschern zusammenarbeiten würde, aber das zeigt nur, wie vielversprechend diese Bereiche sind und dass es die Zusammenarbeit von sehr vielen verschiedenen Hintergründen erfordert. In meinem Fall ist der Hintergrund Hefe und Mikrobiologie. Ich habe meine Karriere damit verbracht, Biokraftstoffe herzustellen und zu versuchen, die Emissionen fossiler Brennstoffe zu verringern, daher ist es faszinierend, wie die unterschiedlichen Erfahrungen relevant sein können. Das Feld entwickelt sich dank der Leute, die ihre aus einem bestimmten Bereich stammenden Fähigkeiten anwenden und herausfinden, wie sie in der Psychedelika-Industrie angewendet werden können. Ich denke, das wäre mein Ratschlag – besinnt euch der Fähigkeiten, die ihr habt, und versucht herauszufinden, wie sie auf diese neue Industrie angewendet werden können. Ich glaube wirklich, dass es im Ökosystem noch etliche Möglichkeiten zur Entwicklung gibt.

J: Vielen Dank für diesen Rat! Eine gute Nachricht, die ich hier teilen kann, ist, dass das Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) Mannheim erst kürzlich den Start einer Psilocybin-Depressionsstudie unter der Leitung von Prof. Dr. Gerhard Gründer bekannt gegeben hat. Die MIND Foundation ist an dieser Forschung ebenfalls beteiligt und unser klinischer Partner OVID unterstützt mit Therapeuten am zweiten Studienzentrum in Berlin – und beide stellen damit zusätzliche finanzielle Mittel für die Studie zur Verfügung. Es ist die erste Studie dieser Art mit der Aussicht auf eine Förderung durch Mittel der deutschen Regierung.

N: Ich denke, dass die Bewegung in der Welt sehr schnell vorangeht. Ich habe kürzlich darüber gelesen. Es ist ein großer Moment, da öffentliche Mittel für die psychedelische Forschung eingesetzt werden. Eine Sache, die für uns wirklich ermutigend war, ist, dass die dänische Regierung einer unserer Investoren geworden ist.

J: Das ist wirklich toll!

N: Die dänische Regierung verfügt über einen Venture Fund und sie ist einer unserer größten Investoren. Für uns ist das ein enorm positives Zeichen für die Industrie in Bezug auf die Überwindung des Stigmas – die Tatsache, dass öffentliche Institutionen und sogar Regierungen hinter dieser Art von Forschung stehen. Sogar die FDA hat eine Menge positiver Dinge über Psychedelika zu sagen und sie sind in dieser Hinsicht sehr pragmatisch. Die Zeiten ändern sich also in der Tat und ich habe keinen Zweifel daran, dass dies in fünf Jahren auch gar kein Thema mehr sein wird und dass es klar sein wird, dass Psychedelika einen therapeutischen Nutzen haben können.

J: Sobald die Pharmaindustrie die Vorteile erkennt?

N: Prinzipiell ja, das ist was wir mit Cannabinoiden gesehen haben.

J: Das ist wahr; die therapeutische Verwendung von Cannabinoiden wurde unglaublich schnell zum Mainstream.

N: Im Grunde genommen ist es inzwischen Mainstream, oder? Die Mehrheit der Menschen akzeptiert, dass Cannabis therapeutisch ist, und es ist mittlerweile ein pharmazeutisches Medikament. Wenn ich also sehe, wie sich das innerhalb so kurzer Zeit verändert hat, dann glaube ich wirklich, dass Psychedelika bald folgen werden.

J: Es macht mich auch optimistisch, also drücke ich die Daumen dafür und danke dir vielmals für das Gespräch!

N: Danke, es hat mich sehr gefreut.

Disclaimer: Dieser Blogpost wurde von Volontären übersetzt und editiert. Die Mitwirkenden repräsentieren nicht die MIND Foundation. Wenn Ihnen Fehler oder Unklarheiten auffallen, lassen Sie es uns bitte wissen – wir sind für jede Verbesserung dankbar (mailto:[email protected]). Wenn Sie unser Projekt zur Mehrsprachigkeit unterstützen wollen, kontaktieren Sie uns bitte um der MIND Blog Translation Group beizutreten!


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